Shades of Pale – Die Facetten der Schönheit mit Vitiligo

Interview mit Elisabeth van Aalderen

 

Elisabeth von Aalderen, Sie sind eine erfolgreiche Fotografin und haben auch schon als Stylistin und Art Director in der Modebranche gearbeitet. Wie war es für Sie, in dieser «Welt der Schönen», als Sie realisiert haben, dass Sie Vitiligo haben?
Am Anfang war ich sehr schockiert und traurig. Ich kannte niemanden in meinem Umfeld mit Vitiligo und so hatte ich niemanden, mit dem ich darüber reden konnte. Und auch die Arbeit in der Modebranche, wo wir mit Models arbeiten, die einem gewissen Schönheitsstandard entsprechen, war nicht hilfreich: Wir sehen die Bilder dieser Models jeden einzelnen Tag in unserem Leben: Doch es ist ein so falscher und verdrehter Blickwinkel, auf den wir uns beziehen.

Auch die Art und Weise, wie unsere Gesellschaft auf Vitiligo reagiert, sollten wir so schnell wie möglich ändern: Ich hatte am Anfang das Gefühl, keine andere Wahl zu haben, als gegen meine Vitiligo anzukämpfen, anstatt sie als einen Teil von mir zu begrüssen. Das ist es, was ich hoffe, mit meiner Arbeit ändern zu können: Ich finde es in Ordnung, wenn Menschen ihre Vitiligo nicht akzeptieren können, aber es soll genauso in Ordnung sein, wenn sie ihre Vitiligo annehmen und willkommen heissen.

 

Letztes Jahr haben Sie die Fotoserie Shades of Pale begonnen. Gab es einen bestimmten Auslöser, der Sie zu Ihrem Projekt motiviert hat?
Ich lebe seit acht Jahren mit meiner Hauterkrankung. Diese Erfahrung inspirierte mich zum Projekt. Während meiner täglichen Arbeit als Fotografin stellten mir die Leute zudem viele Fragen über meine Haut. Da fragte ich mich: Warum soll ich nicht diese beiden Erfahrungen – aus der Fotografie und aus meiner Hauterkrankung – zusammen nutzen? Die Fotografie hat mir eine Plattform gegeben, um den Vitiligo-Körper zu dokumentieren und zu feiern. Shades of Pale ist somit eine Art Ode an seine Schönheit und Einzigartigkeit.

 

Wen möchten Sie mit ihrer Fotoserie ansprechen?
Ich spreche alle an, die mit der Krankheit kämpfen, und alle, die sie noch nie gesehen haben. Ich möchte, dass meine Bilder eine grosse Reichweite erzielen, damit wir der Welt sagen können, dass der Vitiligo-Körper so schön und normal ist wie jeder andere und dass es nichts gibt, wofür man sich schämen müsste.

 

Ist das Fotoprojekt auch eine Art Selbsttherapie?
Mein Ziel ist es, die Verletzlichkeit der Frauen und gleichzeitig ihre Stärke einzufangen. Da ich ebenfalls mit Vitiligo lebe, entsteht während der Arbeit sofort eine Beziehung: Man sieht sich jeweils selbst im anderen. Für viele Frauen, die ich porträtiert habe, bedeutet das Fotoprojekt ein Prozess der Stärkung und Akzeptanz und damit eine unglaublich therapeutische Erfahrung, auch für mich.

 

Was ist für Sie Schönheit?
Wenn es um Schönheit geht, gibt es meiner Meinung nach keinen allgemeinen Massstab. Es gibt verschiedenste Arten von Schönheit; und Schönheit liegt ja bekanntlich im Auge des Betrachters und kann alle Facetten haben. Entscheiden Sie selbst und seien Sie Ihr einzigartiges Selbst!

 

Sie rufen Betroffene auf, ihre einzigartige Schönheit anzunehmen. Was raten Sie Vitiligo-Betroffenen wie sie ihre Schönheit erkennen können, wenn sie nicht den Mut haben, an einem Fotoprojekt wie dem Ihren teilzunehmen?
Ganz gleich, wie jemand aussieht: Jede und jeder von uns hat von Zeit zu Zeit Schwierigkeiten, sich zu gefallen oder sich schön zu finden. Und das ist in Ordnung so. Ich möchte das Bewusstsein für eine andere Art von Schönheit verbreiten: Alles kann schön sein, Schönheit hängt davon ab, wie Sie etwas betrachten. Ihre einzigartigen Merkmale heben dabei Ihre Persönlichkeit hervor. Und das soll etwas Positives sein. Ich verstehe es, wenn Frauen mit ihrem Äusseren hadern. Aber wenn sie diese Gefühle überwinden und ihre Einzigartigkeit akzeptieren, dann werden sie zu starken Frauen. Ich begreife, dass nicht jede Frau den Mut hätte, an einem Fotoprojekt wie meinem teilzunehmen. Aber ich hoffe, dass all die Frauen, die ich nicht fotografiert habe, ein wenig an Selbstvertrauen gewinnen: Dies, indem sie die Fotos von anderen Frauen mit Vitiligo sehen und so das Gefühl erhalten, dass sie damit nicht allein sind.

 

Was beeindruckt Sie am meisten in der Arbeit mit Ihren Models?
Ich habe Frauen mit unterschiedlichen Figuren und Hautfarbe aus der ganzen Welt fotografiert. Etwa neunzig Prozent von ihnen sind zuvor noch nie vor der Kamera gestanden. Sie sind für Shades of Pale aus ihrer Komfortzone herausgetreten. Das war aufbauend und ermutigend. Für mich ist es bereichernd, dass ich mit dem Fotoshooting zum Selbstvertrauen dieser Frauen beigetragen habe. Das Projekt bedeutet deshalb eine unbeschreiblich positive Reise, für mich und für diejenigen, die ich porträtiert habe.

 

Warum beschränkt sich Ihre Fotoserie auf Aufnahmen von Frauen?
Wir sehen oft Models auf Fotos, die bestimmte Schönheitsstandards erfüllen müssen. Ich glaube, das müssen wir ändern. Schönheit muss umfassend und offen verstanden werden. Bei diesem Projekt geht es auch darum, meine eigene Geschichte aus einer weiblichen Perspektive zu erzählen: Es geht um den weiblichen Vitiligo-Körper und den Versuch, ihn zu akzeptieren, ohne dass wir ihn ständig ändern wollen oder mit seinem Aussehen unzufrieden sind.

 

Wann ist Ihre Fotoserie fertig?
Ungefähr Ende Dezember 2020. Danach werde ich an dem Buch und der Ausstellung über Shades oder Pale arbeiten.

 

Welche Wirkung erhoffen Sie sich von Shades of Pale?
Weltweit leiden ungefähr ein Prozent der Menschen an Vitiligo; dennoch gibt es viele, die nicht wissen, was Vitiligo ist. Deshalb möchte ich das Bewusstsein dafür wecken: Je mehr wir Vitiligo sehen – in der Werbung, im Fernsehen oder in der Fotografie – desto mehr gewöhnen wir uns daran. Dann wird Vitiligo nicht mehr etwas «Seltsames» sein, sondern einfach eine andere Art von Schönheit!

 

Was bedeutet Ihre Vitiligo heute für Sie?
Die Vitiligo ist ein wichtiger Teil meines Lebens. Ich glaube, dass ich Vitiligo aus einem bestimmten Grund habe. Sie ist mein grösster und schwierigster Abschnitt auf dem Weg zur Selbstakzeptanz.

 

Elisabeth van Aalderen hat ihre Fotoserie noch nicht abgeschlossen und sie sucht noch immer Frauen mit Vitiligo, die als Model mitmachen. Mehr Bilder und Informationen über Elisabeth van Aalderen und Shades of Pale finden Sie unter www.elisabethva.com/vitiligo.