Das Varizella-Zoster-Virus als Ursache einer segmentalen Vitiligo?

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Beispiel einer segmentalen Vitiligo

Artikel von Dr. Yvon Gauthier, Mitglied des wissenschaftlichen Ausschusses der Association Française du Vitiligo (AFV)*


«Obwohl der Prozess der Melanozyten-Zerstörung in der Haut allmählich besser verstanden wird, sind die Ursachen oder Quellen der Krankheit derzeit noch weitgehend unbekannt, insbesondere weil sie sehr vielfältig sein können. Als Mitglied des wissenschaftlichen Ausschusses des AFV stellte ich an den ‹Vitiligo Annual Meetings 2022› die Arbeit (Studie) des multizentrischen Forschungsteams ‹Vitiligo and Melasma Research Association› vor, die einen möglichen viralen Ursprung für die segmentale Vitiligo präsentiert. Ich hatte gerade einen Artikel über diese völlig neuartige Erklärung veröffentlicht (Internationale Fachzeitschrift für Pigmentstörungen ‹Pigment & Melanoma Research›, 15. August 2022) und war bereit, der AFV weitere Informationen darüber zukommen zu lassen. Dieser Artikel erläutert die mit meinem Team durchgeführte Forschung und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen.»


Vitiligo und Varizella-Zoster-Virus: Einige Gemeinsamkeiten
Das Varizella-Zoster-Virus (VZV) gelangt durch die Windpocken, eine an sich harmlose Kinderkrankheit, welche die meisten von uns durchmachen, in den Körper. Nach Abheilung der Windpocken verschwindet das Virus aber nicht vollständig aus dem Körper, sondern sucht Zuflucht in zwei Arten von Nervenstrukturen: den sensiblen Spinalganglien (Nervenknoten der Sinnesorgane) und den vegetativen Ganglien (sympathisches Nervensystem), die auf beiden Seiten der Wirbelsäule entlanglaufen.


Das VZV kann ein Leben lang «schlummern», ohne irgendwelche Beschwerden zu verursachen. Trotzdem kann es «post mortem» in den sensiblen und vegetativen Nervenganglien von Personen nachgewiesen werden, die nur in der Kindheit an Windpocken gelitten haben. Leider kann dieses «schlafende» Virus unter bestimmten Umständen wieder erwachen (geschwächte Immunität, immunsuppressive Behandlungen, hohes Alter, AIDS etc.) und ist voll funktionsfähig, was als «Reaktivierung» bezeichnet wird. Die in einem sensiblen Ganglion reaktivierten VZV wandern entlang eines sensiblen Nervs bis zur Haut, wo sie einen schmerzhaften blasenartigen Ausschlag auslösen, der als «Gürtelrose» bezeichnet wird. Dieser Ausschlag entwickelt sich genau an der Stelle der sensiblen Innervation oder des Dermatoms (Hautbereich, der von den sensiblen Fasern einer Spinalnervenwurzel autonom versorgt wird), in dem die Reaktivierung stattgefunden hat.


Je nach Art der Vitiligo sind die depigmentierten Bereiche mehr oder weniger ausgedehnt, mehr oder weniger intensiv und reichen von einer teilweisen Verfärbung bis hin zu völliger Absenz der natürlichen Hautfarbe. Die sogenannte «segmentale Vitiligo» ist eine einseitige, meist scharf begrenzte Depigmentierung, die in den ersten Wochen schnell fortschreitet und sich danach über mehrere Jahre hinweg stabilisiert, wobei sie einseitig bleibt. Rezidive (Rückfälle) sind jedoch möglich, ähnlich wie bei Herpes, einer anderen Hautvirose.


Interessanterweise können sich einige Formen der segmentalen Vitiligo auf einem «quasi-dermatomalen» Gebiet ausbreiten (siehe Dermatom, 3. Abschnitt), wie dies bei der Gürtelrose der Fall ist. Und es gibt noch weitere Berührungspunkte zwischen diesen beiden Erkrankungen: In Ausnahmefällen kann sich eine Gürtelrose auf der Oberfläche einer segmentalen Vitiligo entwickeln, und umgekehrt kann eine segmentale Vitiligo auf eine Gürtelrose folgen.

 

Basierend auf diesen Erkenntnissen suchte mein Team in der Haut der segmentalen Vitiligo nach charakteristischen retrospektiven biologischen Merkmalen, die auf einen viralen Befall mit dem VZV hindeuten (die im Verlauf einer Gürtelrose regelmässig gefunden werden):

  • Nach einer positiven Stellungnahme des Ethikkomitees wurden bei freiwilligen Patienten in der Sprechstunde für Pigmentstörungen von Prof. Benzekri (Abteilung für Dermatologie des Krankenhauses Ibn Sina Rabat, Marokko, ebenfalls Mitglied des wissenschaftlichen Komitees der AFV) 40 Hautbiopsien von wenigen Millimetern entnommen.
  • Anschliessend wurden diese Abstriche von meinem Team analysiert: Es umfasste Expertinnen und Experten aus den Bereichen Pathologie, Immunbiologie, Virologie, Molekularbiologie, Elektronenmikroskopie und Statistik.
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Was lässt sich aus diesen Ergebnissen schliessen?
Erstens wurden bei einer grossen Anzahl von Menschen mit segmentaler Vitiligo charakteristische histologische Merkmale in der Haut gefunden, die auf eine vorherige Virusinfektion schliessen lassen (Zellfusionen, mehrkernige Riesenzellen). Zweitens hat das Forschungsteam in der Immunchemie bei Patientinnen und Patienten mit einer sehr ausgedehnten Vitiligo, die sehr früh untersucht worden sind, eine Positivität für das VZV festgestellt. Mithilfe der Elektronenmikroskopie konnte das VZV in drei dieser Fälle in einigen Melanozyten und subepidermalen Nervenfasern nachgewiesen werden.


Diese leicht identifizierbaren Viren werden sowohl bei Gürtelrose gefunden als auch in von segmentaler Vitiligo betroffenen Bereichen, die sehr früh untersucht worden sind ... Aber ab einem bestimmten Zeitpunkt ist das Virus nicht mehr aufzufinden. Die nicht ansteckende Virusinfektion beginnt auf stille und unsichtbare Weise und scheint dann zu enden, wenn die Depigmentierung sich zu manifestieren beginnt, was die Untersuchungen besonders erschwert! Gleichzeitig weist das Serum vieler Patientinnen und Patienten einen ungewöhnlich hohen Anteil an Anti-VZV-Antikörpern auf, der nicht mit einer Windpocken-Anamnese in Verbindung gebracht werden kann.


Aufgrund der Ergebnisse aus dieser Studie könnte man schliessen, dass:
 

  • Die segmentale Vitiligo als depigmentierte Folgeerscheinung einer vorherigen, nicht ansteckenden, kurzzeitigen und schwach ausgeprägten Virus-Reaktivierung gewertet werden kann.
  • Die Reaktivierung des VZV auf der Ebene der vegetativen und nicht-sensiblen Nervenganglien erfolgen könnte, weshalb keine Schmerzen auftreten.
  • Sich die reaktivierten Viren entlang der vegetativen Nervenfasern, welche die Arterien und Arteriolen (kleine Arterien) umgeben, zur Haut hinbewegen.
  • Neben der Depigmentierung weitere Auswirkungen auf den vaskulären Blutfluss und die Schweiss-Sekretion (Schweiss-Absonderung) beschrieben worden sind.
     

Praktische Konsequenzen für die Behandlung einer segmentalen Vitiligo
Eine spezifische antivirale Therapie, die sehr früh eingeleitet wird, das heisst, während das Virus noch vorhanden ist (innerhalb der ersten zwei Monate), kann für eine Repigmentierung der segmentalen Vitiligo ohne weitere Adjuvantien (Hilfsstoffe) ausreichen.


Bei segmentaler Vitiligo, die spät im Stadium einer Folgeerkrankungen erkannt wird, scheint jedoch die Kombination aus Melanozyten-Transplantation und antiviraler Therapie eine gute Option zu sein, um eine schnellere und bessere Repigmentierung zu erreichen.


*übersetzt aus dem Französischen